Das Lied der Freiheit by Falcones Ildefonso

Das Lied der Freiheit by Falcones Ildefonso

Autor:Falcones, Ildefonso
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: C. Bertelsmann
veröffentlicht: 2014-03-14T04:00:00+00:00


22

Er könnte einfach so verschwinden, wie damals in Triana. Hatte er jemals irgendjemandem Erklärungen geben müssen? Er könnte genau in dem Moment verschwinden, in dem Nicolasa in Jabugo war. Sie würde zurückkommen, die Hütte leer vorfinden und begreifen, dass seine Warnungen schließlich wahr geworden waren. »Du hast mir doch gesagt, dass ich niemals einem Zigeuner trauen soll … Du lügst … du wirst bei mir bleiben.« Zuweilen hatte Nicolasa so geantwortet, als wollte sie Melchors Drohungen nicht ernst nehmen, und zuweilen hatte sie seinen Blick fixiert, um seine wahren Absichten zu erforschen. Er hatte ihr gesagt, dass sie ihn sterben lasse solle. Das hatte er ihr doch gesagt! Er war zum Sterben bereit gewesen. Er hatte sie gewarnt, dass er sie verlassen würde, doch sie wollte nicht auf ihn hören. Sie hatte ihn mit seiner eigentlich tödlichen Verletzung in die Hütte gebracht, hatte Nicolasa ihm später erzählt, als er wieder bei Bewusstsein war, nach vielen langen Tagen im Kampf gegen das Fieber und den Tod. Nicolasa hatte, das berichtete sie ihm auch, einen Wundarzt gesucht und für ihn das ganze Geld von Gordo ausgegeben, das Melchor geblieben war.

»Das ganze Geld?«, brüllte Melchor von seinem Lager auf dem Strohsack. Der Schmerz über den Verlust seines Geldbeutels ging tiefer als das reißende Stechen an den Nähten seiner Wunde.

»Die Wundärzte wollen keine Zigeuner behandeln«, sagte Nicolasa. »Es ist doch ohnehin egal! Wenn du gestorben wärst, hättest du auch nichts mehr davon. Ich habe nur das getan, was ich für richtig hielt.«

»Aber dann wäre ich wenigstens als reicher Mann gestorben, Nicolasa«, klagte Melchor.

»Ja und?«

»Wer weiß, was nach dem Tod geschieht? Bestimmt wird uns Zigeunern erlaubt, zu unseren Sachen zurückzukehren, um den Teufel zu bezahlen.«

Zwei Monate später, als Nicolasa Melchor endlich von dem Strohsack auf den Stuhl vor der Hütte verfrachten konnte, damit er die frische Bergluft genoss, und als auch der Wundarzt nicht mehr kommen musste, weil er Melchor für geheilt hielt, gestand die Frau ihm, dass sie dem Arzt auch Gordos Pferd überlassen hatte … zu den Goldmünzen.

»Er hat gedroht, der Polizei zu melden, dass du hier bist.«

Wutentbrannt hatte Melchor vom Stuhl aufstehen wollen, doch er konnte sich nicht auf den Beinen halten und wäre fast zu Boden gestürzt. Die Hunde bellten, noch ehe Nicolasa mit ihm schimpfen konnte. Richtig laufen können, das würde noch ein paar Monate dauern.

»Warte, bis der Frühling kommt«, riet sie ihm, als er wieder einmal aufbrechen wollte. »Du bist immer noch sehr schwach, der Winter ist hart, und die Berge sind gefährlich. Die Wölfe haben Hunger. Außerdem, vielleicht ist deine Familie ja schon wieder frei. Lass dir doch Zeit!«

Nicolasa hatte ihm die Neuigkeiten berichtet, die sie in Jabugo über das Schicksal der Zigeuner erfahren hatte; die Lastenträger und die Schmuggler wussten viel. Zunächst bestätigte sie gezwungenermaßen Gordos Worte, die Melchor beinahe das Leben gekostet hatten. Ja, man hatte in ganz Spanien alle Zigeuner verhaftet. Die Zigeuner in Sevilla und damit auch in Triana bildeten keine Ausnahme. Melchor fragte nicht, warum sie ihm die Nachricht nicht sofort mitgeteilt hatte, weil er die Antwort im Voraus kannte.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.